Auf Cthulhus Spur

Gepflegtes Rollenspiel rund um den kriechenden Wahnsinn

失敗 (Shippai) – Fehlschlag

Ich frühstücke Onigiri, die ich mir gestern Abend noch vorbereitet hatte, als mir ein Telegramm zugestellt wird. Es ist von Henry.

„Noteinsatz im Britischen Museum. +++ Stop +++ Treffen um 5 o‘ clock mit Sir Kenyon. +++ Stop +++ Grüße von H.C. +++ Stop +++ H.W.J.

Das klingt dringend. Nachdem ich zu Ende gefrühstückt habe, packe ich ein paar frische Sachen ein und bringe den Koffer ins Auto.
„Sie reisen schon wieder ab, Mr. Okumura?“, fragt Amanda verwundert.
„Ja, das war anders geplant, aber die Geschäfte rufen manchmal unvorhergesehen. Ich werde wieder für eine Weile in London sein müssen. Sie erreichen mich im Notfall telegrafisch.“

Ich bin schon am frühen Nachmittag zurück in London und steuere den Silverghost zunächst direkt in Richtung des Highgate Cemetary, um dem Steinmetzmeister das Material zu bringen, aus dem er meine Kamidana fertigen soll. Meister Mullan nimmt den Gesteinsklotz entgegen. Gemeinsam mit seinem Gesellen hieft er den Block aus dem Kofferraum des Silverghost. Es wird schätzungsweise zehn Tage dauern, bis er den Auftrag erfüllt hat, meint er.

Es ist noch immer reichlich Zeit bis zum Treffen mit meinen Freunden im Britischen Museum. Ich kaufe auf dem Weg zur Canon Row ein paar Blumen ein und nutze die Zeit, um mein Stadthaus etwas wohnlicher auszugestalten. Ich stelle die Blumen in Vasen und hänge ein paar Bilder an die Wand.

Um 17:00 Uhr treffe ich Mare, den Lord und Mary-Ann vor dem Britischen Museum. Mycroft und Carla sind nicht bei ihnen. Sie sind nach Frankreich geflogen. Mycroft möchte in den magisch verstärken Hallen unter Carlas Weinkeller den Zauber, den er von Madame Empusa zur Tarnung seiner Narben des Gelben Zeichens erhalten hatte, studieren, um diesen in Zukunft auch selbst anwenden zu können. Mir fällt eine Katze auf, die das Museum zu bewachen scheint. Sie fixiert mich und versucht mit mir in Kontakt zu treten. Ich erkenne sofort, dass das Tier eine intelligente Katze sein muss. Sie gehört wahrscheinlich der mystischen Gesellschaft der Katzen von London an. Ich frage mich gerade selbst, wie ich auf diesen Gedanken gekommen bin, als mir klar wird, dass es die Katze war, die mir dieses Geheimnis auf telepathischem Wege offenbart hat. Die Menschen nennen sie Mike, verrät sie mir, aber ihr wahrer Name sei ein anderer. Sie macht den Eindruck, als wäre sie sehr froh über meine Gegenwart.

Wir melden uns am Empfang. Unsere Ankunft wird dort bereits erwartet. Man führt uns durch das Museum zu Sir Kenyon. Dabei passieren wir einen Raum, der wie eine japanische Teestube eingerichtet ist. Ich bin erstaunt, so etwas mitten in London zu finden. Ein Schild weist darauf hin, dass die Urasenke-Gesellschaft hier regelmäßig den Chadō präsentiert. Das finde ich interessant und beschließe mich nach unserem Besuch für eine Zeremonie anzumelden.

Schließlich erreichen wir das Büro von Sir Kenyon. Er zeigt sich untröstlich. Die Pergamente, die der Lord zur Restauration hierher hat bringen lassen, sind gestohlen worden. Ebenso sei der Mitarbeiter, der mit dem Projekt betraut war, Henry Walters, sowie sämtliche Dokumente zu den Erkenntnissen zu den Funden verschwunden. Außerdem hat es zwei mysteriöse Todesfälle gegeben. Zwei Wachmänner sind auf seltsame Weise ums Leben gekommen. Darüber wurde auch schon in der Zeitung berichtet. In einem Artikel vom 23. April schreibt ein Reporter über einen George Baker, der wohl einen Erstickungstod erlitten hat. Zeitgleich sei versucht worden, in das Museum einzubrechen, schreibt die Zeitung. Der Tote wurde von einem anderen Wachmann namens Michael Harrison gefunden.

Noch seltsamer stellt sich der Fall dar, über den die TIMES am 2. Mai berichtete. Der Wachmann Charles Wade war in der vorangegangenen Nacht zu Tode gekommen. Wieder war Michael Harrison Zeuge. Er hatte während seines Dienstes verdächtige Geräusche gehört und war diesen gefolgt. Tatsächlich fand er Spuren, die auf einen Kampf hindeuteten. Ein Fenster zur Orientbibliothek, wo auch Carlas Dokumente gelagert waren, war eingeschlagen und das umstehende Buschwerk beschädigt worden. Ebenso fand man einen Schuh. Wade jedoch fand man erst eine halbe Stunde später am Ufer der Themse. Laut Autopsiebericht soll er aus großer Höhe zu Tode gestürzt sein.

Scottland Yard ist bereits in die Fälle eingeschaltet. Die Ermittlungen werden von Inspektor Dunton geleitet.

Sir Kenyon gibt uns Tagesausweise für das Museum. Bei Restausrationsteam erfahren wir, dass die Schriften überwiegend in hebräisch verfasst waren, es gab aber auch lateinische, französische und italienische Texte.

Henry überprüft die Inventarliste der Orientbibliothek und stellt fest, dass diese unmöglich vollständig sein kann. Auf Nachfrage erhält er von einem Mitarbeiter die Antwort, dass das gut sein könne. Sie kämen mit dem Führen der Inventarlisten nicht hinterher. Sie hätten zu wenig Leute, sagt er, und man müsse Prioritäten setzen. Gleichzeitig bittet er Henry, die Angelegenheit nicht an die große Glocke zu hängen, was Henry auch verspricht. Die Vermutung, dass nur Carlas Dokumente gestohlen wurden, ist jedoch durch diese neue Erkenntnis in Frage gestellt.

Ich melde mich beim Empfang für die Teilnahme an einer Teezeremonie der Urasenke-Gesellschaft an und erhalte einen Termin am Sonntag zu 17:00 Uhr. Dann stehen wir im Foyer und überlegen unsere nächsten Schritte. Henry will die Gräber der beiden verstorbenen Wachmänner aufsuchen. Der Lord und Mare wollen Inspektor Dunton aufsuchen und Näheres über den aktuellen Stand der offiziellen Ermittlungen in Erfahrung bringen. Ich beschließe, Michael Harrison einen Besuch abzustatten, Mary-Ann besteht darauf, mich zu begleiten. Ich ahne, dass dies nur in einem Desaster enden kann.

Bevor sich unsere Wege trennen, bringt eine Mitarbeiterin des Museums ein Buch und überreicht es dem Lord.
„Ihre Bestellung, Lord Carnarvon“, sagt sie und geht wieder. Der Lord schaut verdutzt drein.
„Ich habe nichts bestellt“, wundert er sich. Mare bittet ihn, das Buch einmal ansehen zu dürfen, was er ihr gewährt.
Mare blättert ein wenig in dem Buch, als dieses plötzlich in Flammen aufgeht. Mare lässt es erschrocken fallen und das Buch zerfällt zu Asche.
Mit offenen Mündern starren wir einander an. Was ist da gerade passiert? Der Lord meint, eine Art Siegel auf der Seite des Buches gesehen zu haben, welche Mare aufschlug, bevor das Buch entflammte. Er konnte es nicht vollständig erkennen. Er glaubt die Worte „Cthulgia Formalhaute“ gelesen zu haben. Und ihm ist klar: eigentlich hätte er die besagte Seite im Buch aufschlagen und das Siegel aktivieren sollen. Mare hat ihn durch ihre Neugier davor bewahrt.

Mare scheint es soweit gut zu gehen – vielleicht zeigen sich die Auswirkungen des Zaubers – den Zauberei war hier gerade ganz offensichtlich im Spiel – erst später? Wir wissen es nicht und beschließen, erst einmal unsere Pläne wie besprochen weiter zu verfolgen.

Während ich vor dem Museum damit beschäftigt bin, ein Taxi zu organisieren, plappert Mary-Ann mich unentwegt voll. Ich kann mich überhaupt nicht konzentrieren. Als ich schließlich nach 15 Minuten endlich ein Taxi auftreiben kann, ist mir die Adresse entfallen, zu der wir fahren wollen. „Oh, ich weiß die auch nicht“, meint Mary-Ann, „aber ich frage mal den Museumsdirektor.“
Sprach’s und schritt mit wehendem Mantel die Museumstreppen hinauf. Die Katze Mike folgt ihr mit verwundertem Blick.

Ich halte ein wenig Smalltalk mit dem Taxifahrer. Sein Name ist Rory und er wirkt leicht alkoholisiert. Nach einer Weile kommt Mary-Ann zurück.
„Hast du die Adresse“, frage ich.
„Wie heißt nochmal der Mann, zu dem wir fahren wollen?“, möchte sie wissen.
„Harrison“, antworte ich, „Michael Harrison.“
Und wieder sehe ich Mary-Anns Mantel die Treppen hinauf wallen.

Als Mary-Ann das nächste Mal die Treppen hinunter stolziert, bringt sie auch endlich die Informationen mit, die wir brauchen.
„Eaton Place, Ecke Ebony Road“, weise ich den Taxifahrer an.
Rory schaut mich fragend an.
„Ich weiß nicht, wo das ist“, gesteht er, „können Sie mir das auf der Karte zeigen?“
Was ist nur los in London? Nicht einmal die Taxifahrer hier schaffen es, ihren Job richtig zu machen…

Schnell finde ich die Adresse auf der Karte. Rory ist sehr erleichtert.
„Danke Sir. Die nächste Fahrt ist umsonst“, sagt er.
Das alles kommt mir sehr suspekt vor. Ein Taxifahrer in London, der die Karte nicht kennt. Ich vermute einen Hinterhalt und richte mich darauf ein, im Zweifelsfall schnell reagieren zu müssen. Für Mary-Ann scheint das alles kein Problem zu sein. Ausgelassen plaudert sie mit dem Taxifahrer, als wäre sie auf einer fröhlichen Spazierfahrt.

Rory bringt uns schließlich zur gewünschten Adresse. Ich weise ihn an, zu warten.

Wir stehen vor einem Wohnhaus der gehobeneren Klasse. Ich frage mich, ob wir hier wirklich richtig sind. Die Gegend sieht nicht so aus, als würde sie zum Geldbeutel eines Nachtwächters in einem Museum passen. Es gibt einen Fahrstuhl und eine Namensliste der Bewohner. Harrisons Name ist hier auch aufgeführt. Er wohnt in der dritten Etage. Mary-Ann und ich fahren hinauf. Auf der Fahrt nach oben versuche ich mir eine einigermaßen plausible Story zu überlegen, die wir Harrison als Grund für unseren Besuch auftischen könnten, doch mir fällt nichts ein.

Schließlich erreichen wir den dritten Stock und stehen vor Harrisons Appartment. Wir klingeln und Harrison öffnet.
„Sind Sie von Pinkerton & Pinkerton“, fragt er.
Ich weiß zwar nicht, wer die sind und in welchem Verhältnis Harrison zu diesen steht, doch ich wage es, diese Chance auf eine Geschichte zu nutzen.
„Ja“, antworte ich selbstsicher und wahrscheinlich hätte ich Harrison auch überzeugen können, wenn nicht meine Komplizin ausgerechnet in diesem Moment von eine Anfall von Wahrheitsliebe übermannt worden wäre und im gleichen Atemzuge mit „Nein“ antwortete.

Ich versuche das Eisen noch einmal herum zu reißen.
„Ach, Sie sagten Pinkerton & Pinkerton?“, frage ich, „ich meine natürlich Pickman & Pickman“, aber das macht die Sache auch nicht besser. Damit ist die Nummer eigentlich gelaufen. Ich folge Harrisons Wunsch, uns zu entfernen, doch Mary-Ann lässt es sich nicht nehmen, weiter auf Harrison einzureden und dabei Informationen preiszugeben, die nicht in falsche Hände geraten dürfen. Falls Harrison gegen uns arbeiten sollte, hat er jetzt einige Karten gegen uns in der Hand. Ein Desaster – ich hatte es vorausgesehen. Schließlich ist es soweit, dass auch Mary-Ann aufgeben muss. Harrison drängt sie langsam aber bestimmt aus dem Türrahmen und schließt die Tür hinter sich. Mary-Ann plappert noch eine Weile weiter.

Wir kehren zurück zu unserem Taxi. Rory wartet noch auf uns und Mary-Ann besteht darauf, mit ihm noch ein Bier trinken zu gehen. Ich lasse mich von ihr überreden, mit in Rorys Lieblingspub in Soho zu kommen. Auf dem Weg dorthin frage ich Rory, ob er wisse, wer Pinkerton & Pinkerton seien.
„Das sind Kunsthändler“, meint er überzeugt, ich aber bin mir nicht sicher, ob der Alkohol ihm nicht schon ein wenig den Verstand vernebelt hat.

Rory fährt mit uns nach Soho in den Pub „The Drunken Eagle“. Dort stellt er uns einige seiner Kumpels vor. Mir wird sofort ein Pint Ale in die Hand gedrückt.

Die Männer interessieren sich für mich, wollen wissen, woher ich komme und was ich in London mache. Der Alkohol lockert meine Zunge und ich erzähle freimütig von meinen Plänen, eine Kampfkunstschule zu eröffnen. Das erregt ihre Neugier noch mehr. Sie wollen sehen, was ich drauf habe. Mein Ego fühlt sich geschmeichelt und in meinem Stolz lasse ich mich trotz meines inzwischen doch deutlich angestiegenen Alkoholpegels dazu überreden, eine Kostprobe meiner Künste zu geben. Offenbar mache ich dabei keine allzu schlechte Figur, denn einige der Zuschauer fragen nach der Show, ob ich eine Visitenkarte hätte. Die habe ich noch nicht, nehme mir aber vor, welche anfertigen zu lassen. Für jetzt müssen die Bierdeckel aus dem Pub mit einer handschriftlichen Notiz herhalten.

影道場
Kagedōjō
Canon Row No. 7
LONDON

Alles in allem erlebe ich einen netten Abend mit zwei weiteren Pint Ale und diversen Kurzen.

Als Rory uns schließlich in der Nähe von Halton House absetzt, habe ich ordentlich einen sitzen. Im Salon berichte ich Henry und dem Lord von unserem grandiosen Fehlschlag.
„Wisst ihr, wer Pinkerton & Pinkerton sind?“, frage ich in die Runde.
„Privatermittler, Amerikaner“, antwortet der Lord wie aus der Pistole geschossen. Möglicherweise hat Harrison die Ermittler zu seinem Schutz angeheuert. Das wäre naheliegend.

Mare ist nicht bei uns. Ihr geht es nicht gut, meint der Lord. Er hält es für sehr wahrscheinlich, dass Mare einem Fluch anheim gefallen ist, der eigentlich ihn hätte treffen müssen. Wer diesen Anschlag verübt hat und warum, wissen wir zur Zeit nicht.

Der Lord berichtet nun seinerseits, was er bei Inspektor Dunton hat in Erfahrung bringen können. Bei Baker war ein Erstickungstod festgestellt worden – Erstickung durch Salzwasser in der Lunge. Er ist während seiner Schicht im Museum gestorben. Wade, das hatte die Obduktion ergeben, muss aus einer Höhe von etwa 70 Metern auf die Erde gestürzt sein, allerdings befindet sich in der Nähe des Fundorts der Leiche keine Gebäude in dieser Höhe. Die Polizei steht vor einem Rätsel.

Der Abend schreitet weiter voran und man denkt daran, sich zur Bettruhe zu begeben. Auch mir wird ein Zimmer angeboten, aber ich bestehe darauf, nach Hause zu gehen. Falls ich in meinem Rausch irgendetwas dummes oder peinliches anstellen sollte, möchte ich dafür lieber keine Zeugen. Henry begleitet mich und nutzt diese Gelegenheít gleichzeitig, um Indy noch etwas Auslauf zu verschaffen. Auch mir tut der Abendspaziergang gut und ich nüchtere an der frischen Luft ein wenig aus.